Wenn es nur noch einen Ausweg zu geben scheint 2


Dieser Beitrag fällt mir nicht leicht zu schreiben, da er sehr intim ist. Ich habe lange überlegt ob ich ihn überhaupt schreiben soll. Vielen wird es unangenehm sein es zu lesen und gerade Leute in meinem näheren Umfeld werden dann nicht wissen wie sie mit mir umgehen sollen.

Für alle Betroffenen *TRIGGERWARNUNG*

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Eigentlich geht es mir schon seit Ende Frühling/ Anfang Sommer nicht wirklich gut. Ich wurde immer instabiler. Was für andere Menschen Kleinigkeiten sind waren für mich große Sachen. Meine Ärztin hat mir jetzt schon mehrfach erklärt, dass das an der Erkrankung liegt und daran was ich bereits alles durchmachen musste. Daher bringen mich Kleinigkeiten leichter aus der Fassung, machen mich instabiler und beeinflussen mich massiver. Ich könnte da jetzt auf das Gehirn eingehen und dass die Amygdala eh schon auf Dauerfeuer steht und mein Körper sich in ständiger Alarmbereitschaft befindet, aber darum soll es in dem Beitrag nicht gehen.

Bisher haben mir meine Hunde und besonders Ylvi sehr geholfen. Auch wenn mich die Depression wieder fest im Griff hatte und sonst nichts mehr funktionierte – kein Einkaufen gehen, keine Hausarbeit, kein kochen, zum essen musste ich mich zwingen, usw – so bin ich doch tagtäglich aufgestanden und eine Runde mit meinen Hunden gegangen. Ich hab sie so gut es mir ging ausgelastet, hab Leckerlisuchen im Wald gemacht und für zuhause einen Wobbler gekauft, Intelligenzspiele gemacht und mit ihnen trainiert. Es war nicht einfach und ich hatte ständig ein schlechtes Gewissen ihnen nicht genug Bewegung bieten zu können. Jeder Schritt und jede Bewegung war anstrengend. So als würden etliche Gewichte an mir hängen und mich nach unten ziehen. Allein der Gedanke daran duschen zu gehen war anstrengend. Ich hatte kaum Kraft und brauchte nach dem Spaziergang selber Pause – sprich ich lag auf der Couch, der Fernseher lief und ich versuchte zu skillen (Skills sind Methoden aus der Therapie die helfen sollen mit Flashbacks und ähnlichem umzugehen). So müde ich war, konnte ich trotzdem nicht schlafen. Es gab nicht wirklich eine Erholung für mich und jeden Morgen erwachte ich gleich müde und fertig wie am Tag davor. Ylvi lag viel bei mir auf der Couch, kuschelte mit mir, legte sich auf meine Füße und forderte mich zum spielen auf. Ab 20 Uhr ging sie dann meistens ins Schlafzimmer um dort für ein paar Stunden tief zu schlafen bevor mein Mann noch mal mit ihnen runter ging und sie teilweise die Nacht wieder bei mir auf der Couch verbrachte.

Der Aufenthalt in Bad Honnef hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Dort wo ich Hilfe bekommen hätte sollen, hab ich keine bekommen. Bis heute liegt kein Abschlussbericht aus der Klinik vor und die Krankenkasse wartet aber auf diesen Bericht.

Meine kleinen Lichtblicke waren das TAT-Symbosium und das Seminar Medical Training im Animal Training Center. Doch auch diese Lichtblicke waren nicht genug. Meine Gedanken waren düster. Immer häufiger dachte ich daran mich umzubringen, denn so wie mein Leben derzeit läuft ist es kein Leben mehr. Meine Zukunft sieht auch düster aus. Ich habe Probleme mich zu erinnern, an Gespräche, an Situationen, an gestern. Es ist mehr als das einfache vergesslich sein. Ich versuche es so gut es geht zu überspielen. Doch engen Freunden fällt es sehr wohl auf. Ich kann langen Gesprächen nicht wirklich folgen. Kompliziertere Dinge kann ich nicht lesen weil dann meine Konzentration gleich aufgebraucht ist.

Mit Suizidgedanken ist das auch so eine Sache. Die kommen einfach und völlig ungefragt. Sie drängen sich richtig auf und dann kann man an nichts anderes mehr denken. Für mich sind sie nichts neues. Ich lebe schon sehr lange damit. Bisher hab ich immer einen Weg gefunden die Zeit durchzuhalten. Den Handlungsimpulsen nicht nachzugeben. Die Zeit der dunklen Gedanken durchzustehen. Irgendwie.

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten wie man sich umbringen kann und als Krankenschwester lernt man leider auch ein paar sehr sichere Methoden. Für mich stand immer schon fest, dass ich nicht andere Leute im Zuge meines Suizides traumatisieren möchte. Somit fallen ein paar Dinge schon mal weg. Vor den Zug oder ein Auto springen, aus einem Gebäude hüpfen. Das macht eine zu große Sauerei und die Leute, die es mit ansehen müssen sind für ihr Leben traumatisiert – so wie ich es bin.

Damit ich nicht in Versuchung komme mir die Pulsadern aufzuschneiden habe ich mir zwei Tattoos auf die Handgelenke stechen lassen. Beide haben ihre eigene Bedeutung. Bereits letztes Jahr, kurz nachdem das zweite gestochen worden war, hatte ich wieder Suizidgedanken und Handlungsimpulse und sie haben mich davor bewahrt mich umzubringen.

Auch dieses mal habe ich mir Hilfe geholt. Ich habe mit meiner Therapeutin darüber gesprochen und auch meine behandelnde Ärztin mit einbezogen. Normalerweise würde man in so einer Zeit der Krise auf eine geschlossene Station in der Psychiatrie gehen zur Krisenintervention. Bei mir geht das aber aus diversen Gründen nicht – die Klinik in Innsbruck und die in Hall fallen völlig für mich aus. Alle anderen Kliniken haben ein bestimmtes Einzugsgebiet für Krisenintervention und von diesen Einzugsgebiet wäre eben Innsbruck oder Hall für mich zuständig. Also beißt sich die Katze selber in den Schwanz. Daher haben wir das so gelöst, dass ich fast tägliche Termine bei meiner Ärztin bzw Therapeutin hatte. Zudem hatte ich die Nummer der Telefonseelsorge, die rund um die Uhr da ist und wo ich jemanden zum reden hätte. Bereits im September hatten wir die Dosis der Antidepressiva bis zur Höchstdosis erhöht. Doch geholfen hat es nicht wirklich.

Meine Freunde wollte und will ich mit solchen Gedanken nicht belasten. Zum einen können sie ja auch nichts daran ändern und ich würde sie in eine Situation bringen in der sie hilflos sind und zum anderen wissen viele nicht wie damit umgehen und brechen dann den Kontakt ab. Doch gerade in der Zeit war es für mich sehr wichtig, dass ich mit den Hunden raus kam und Leute hatte, die mit mir gemeinsam spazieren gehen oder eben mit mir zu Seminaren fahren.

Es ist schwer zu beschreiben wie es ist wenn sich Selbstmordgedanken aufdrängen. Sie sind einfach da und nehmen dann das gesamte Denken ein. Ich hab mich versucht gedanklich an meinen Mann und meine Hunde zu klammern. Wie schlimm es für meinen Mann wäre wenn ich nicht da bin. Mir vorgestellt wie er leiden würde und ganz schlimm für mich wie er weinen würde – alles nur wegen mir und weil ich nicht stark genug bin. Ich hab mir Gedanken gemacht wie es meinen Hunden gehen würde, wer sie versorgen würde und was mit ihnen passiert wenn ich nicht mehr bin. Max könnte auf Dauer beide Hunde, besonders Ylvi nicht gerecht werden.

Die Selbstmordgedanken wurden immer konkreter. Mein Ärztin verschrieb mir daraufhin Psychopaxtropfen damit ich innerlich etwas Distanz zu den dunklen Gedanken bekommen würde. Am ersten Tag halfen sie auch und ich bekam einen Aktivitätsschub und fing an die Wohnung aufzuräumen. Doch bereits am zweiten Tag war es nicht mehr so. Ich bekam ein wenig Distanz zu den düsteren Vorstellungen, doch sie waren nach wie vor da. Also erhöhten wir die Dosis. Wer das Zeug kennt, weiß, dass sie bereits in niedrigen Dosen müde machen. Doch weit gefehlt. Müde wurde ich davon nicht. Klar war auch, dass es keine Dauerlösung sein würde wegen dem Abhängigkeitspontential. Ich kann euch sagen, die Tropfen schmecken echt fürchterlich! Der Geschmack ging mit Wasser nicht weg also lutschte ich hinterher Lindtkugeln.

Letzte Woche war es dann so weit. Ich konnte einfach nicht mehr. Es gab keine Möglichkeit für einen Klinikaufenthalt, keine Möglichkeit für Krisenintervention. Ein- bis zweimal pro Woche eine Stunde Therapie und alle zwei Wochen einmal ein Arztgespräch waren einfach zu wenig. Dabei hätte ich so dringend mehr benötigt. Am Mittwoch oder Donnerstag hatte ich noch einen Termin bei meiner Ärztin. Ich war so am Ende, dass ich kurzzeitig freiwillig bereit war in Innsbruck in die Klinik zu gehen. Ich habe alles vorbereitet und eine Tasche für Ylvi gepackt. Einen Zettel geschrieben wie jeder Hund zu versorgen ist, was seine Eigenheiten sind und auf was man achten muss. Bei Ylvi stand auch noch ein Liste an Befehlen dabei die sie kann und nicht verlernen sollte. Zudem hab ich drei Anlaufstellen aufgeschrieben, die Ylvi eventuell betreuen würden und Geld für die Betreuung auf das Konto meines Mannes überwiesen.

Ich hatte meiner Ärztin gesagt, dass ich nicht mehr kann. Doch den Satz, dass ich freiwillig stationär gehe brachte ich nicht über die Lippen. Sie erkannte auch leider nicht wie ernst mein Zustand bereits war – sonst hätte sie mich auch gegen meinen Willen auf die geschlossene Station eingewiesen.

Ich ging also wieder heim. Es war aussichtslos. Ich hatte keine Klinik in die ich gehen könnte. Ich hatte keine Möglichkeit für eine Krisenintervention, denn andere Kliniken würden mich nicht nehmen. Von dem Gedanken, dass ich Ylvi mitnehmen könnte hatte ich mich bereits verabschiedet. Es gab keine Perspektiven mehr für mich. Es wurde alles immer nur schlechter und nicht wieder besser. Aus meinem Pflichtgefühl heraus schrieb ich noch einer Freundin, dass ich an dem Tag den Pansen (Futter für unsere Hunde) nicht holen kann und sie möge sich bitte um meinen Mann kümmern. Dann nahm ich alle Tabletten und noch was um mich umzubringen. Meinem Mann schrieb ich noch dass ich ihn liebe.

Womit ich nicht gerechnet hatte war, dass mein Mann an dem Tag früher nach Hause kommen würde und mich so rechtzeitig finden würde. Zudem war meine Freundin gerade im Dienst und war mit Blaulicht (sie ist bei der Polizei) auf dem Weg zu mir. Die hätte mir auch die Tür eingetreten wenn es nötig gewesen wäre.

Ich erinnere mich noch daran, dass plötzlich eine Traube von Sanitätern und der Notarzt bei mir standen. Und nein, darüber war ich gar nicht erfreut. Doch laut meinem Mann wehrte ich mich nicht und war so weit kooperativ, dass sie mich behandeln konnten. Dann wird alles dunkel. Als nächstes erinnere ich mich daran, dass mir irgendwo in einem Bett lag und einen Dauerkatheder hatte und es schrecklich brannte als er wieder entfernt wurde. (Ich lag auf der Cardio-Intensivstation.) Irgenwann wurde ich dann auf die geschlossene Station verlegt. Meine persönliche Hölle. Überall sind große Glasscheiben und man ist unter ständiger Aufsicht. Gut, aufs Klo darf man noch alleine gehen. Aber sobald man da länger ist kommt ein Pfleger nachschauen. Ich wusste ich war eingesperrt und ich wusste, dass sich der Täter nur 10 Meter Luftlinie von mir entfernt befindet und jederzeit auf die Station kommen kann. Mein Gehirn war noch recht benebelt von den Medikamenten. Doch ich versuchte verzweifelt den Pflegern meine Situation zu erklären und dass sie mich doch bitte in ein anderes Krankenhaus zb Salzburg, München, egal wo außer hier und Hall, verlegen sollen. Von mir aus auch wieder auf eine geschlossene Station. Doch ich wurde nicht ernst genommen. Als es Zeit war für meine Medikamente stellte ich fest, dass sie da einiges geändert hatten und erklärte ihnen, dass es die falschen Medis sind und ich diese nicht nehmen werde. Wieder glaubten sie mir nicht. Also rief ich meinen Mann an und bat ihn mir meine Geldtasche zu bringen, denn darin waren noch zwei Rezepte mit den Medikamenten die mir meine Ärztin verordnet hatte. Das half dann, dass sie mir die richtigen Medikamente gaben. Oh, und meine Tasche mit den Klamotten durchsuchten sie auch vorab und nahmen mir einige Dinge weg. Den Rasierer verstand ich ja noch, aber warum sie mir mein Haarshampoo weggenommen haben weiß ich nicht, den das Duschgel durfte ich behalten.

Dass mein Mann da war gab mir genug Kraft um noch mal deutlich zu machen, dass ich hier unter den Umständen nicht bleiben werde. Ich drohte ihnen damit, dass ich die Polizei rufe wenn sie mich gegen meinen Willen festhalten. Mein Plan war, dass dann noch mal ein Arzt mit mir reden muss ob ich wirklich noch Suizidgefährdet bin. Mein Handy hatte ich ja noch. Doch das war ihnen egal.

Also Plan B. Ich sagte ihnen klipp und klar, dass ich auch auf der geschlossenen Station noch genug Möglichkeiten habe mich umzubringen und es auch tun werde wenn sie mich nicht gehen lassen. Denn zuhause wäre ich dann bei meinen Hunden und da würde ich mir nichts mehr tun. Das war keine so gute Idee. Die Ärztin nahm meinen Mann mit für ein Gespräch.

Um es kurz zu machen. Ich kam an diesem Abend noch raus. Denn die diensthabende Ärztin (nach dem Schichtwechsel) sagte mir, dass ich gehen dürfte wenn mein Mann kommen würde und mich mitnehmen würde. Allerdings auf seine Verantwortung und gegen den Rat der Ärzte. Ich kann euch nicht sagen wie sehr ich ihn dafür liebe, dass er gekommen ist und mich so gut kennt, dass er wusste mir geht es zuhause besser als dort auf der Station. Er selber hatte gesehen wie einfach es ist trotz Pförtnersperre von außen in die geschlossene Station rein zu kommen. Sicher war ich dort also nicht.

Die nächsten Tage habe ich viel geschlafen, war noch einmal in der Klinik weil ich eine Blasenenzündung hab und hatte Gespräche mit meiner Ärztin und meiner Therapeutin.

Ich bin meinem Mann dankbar dafür, dass er meine wenigen Freunde aktiviert hat um ihm zu helfen.

Meinen Freunden, dass sie da waren um mit meinen Hunden spazieren zu gehen und eine Nacht auf mich aufzupassen (mein Mann hatte Nachtdienst).

Meiner Therapeutin, dass sie bereit war für den Termin zu mir nach Hause zu kommen und aus einer Stunde einfach so zwei gemacht hat.

Und meiner Ärztin, dass sie kurzfristig doch einen Platz in einer anderen Klinik für mich gefunden hat.

Die Gedanken sind immer noch da, aber ich hab wieder ein bischen Kraft um dagegen anzukämpfen und die Psychopax hab ich auch wieder abgesetzt.

Telefonseelsorge: 142 (Österreich)


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