Schon lange quält es mich wann es denn endlich Zeit ist am und mit dem Trauma zu arbeiten. Ich stellte mir Fragen wie: Wann ist es endlich vorbei? Wann geht es mir wieder gut. Wie lange brauche ich denn noch Therapie? Wieviel Zeit wird mir zugestanden bis ich das Trauma oder besser meine traumatische Vergangenheit zu bearbeiten? Sicherlich bin ich nicht die Einzige, die sich mit solchen Fragen selber quält.
Manchmal kommt der Druck von außen. Zb durch die jährlichen Kontrolltermine in der Krankenkassen, durch einen Arzt der sagt, dass es in einem Jahr wieder alles gut ist, durch Leute, die schon etwas genervt sind weil man immer noch „davon“ gequält wird. Druck machen Aussagen wie: „Lass es endlich hinter dir. Es ist vorbei. Lass die Vergangenheit, Vergangenheit sein.“ Meine Antwort auf solche Aussagen ist inzwischen die Aussage von Mark Twain: Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut.“ Und noch tut es weh. Sehr sogar. Noch verfolgen mich die Bilder und Gefühle von damals. Intrusiv, aufdrängend und zwar dann wenn ich es nicht möchte, wenn es gerade ungünstig ist. Ich würde es ja gerne hinter mir lassen, doch „es“ lässt mich nicht. „Es“ ist wie ein Monster, das mich überfällt, sich heimlich anschleicht und dann zuschlägt. Plötzlich finde ich mich wieder in einem Kampf. Im Kampf mit den Bildern von damals, mitten in den Erinnerungen, den Gefühlen von damals. Eine gewaltige Mischung aus Gefühlen von Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Traurigkeit, Verständnislosigkeit. Sie ist erdrückend und schneidet mir die Luft ab. Die Erinnerungen sind bruchstückhaft, die Bilder wie scharfe Glasscherben, die mich schneiden. Doch von außen sieht man meinen Kampf nicht. Von außen sehe ich aus wie immer. Wären die Schnitte sichtbar, wäre mein ganzer Körper ein einziges Gebilde aus Narben.
Bei mir kommt der Druck zusätzlich auch noch von innen. Ich möchte selber endlich mal alles überstanden haben. Ich möchte frei sein von der Symptomatik der Ptbs. Ich möchte, dass mich meine Vergangenheit endlich mal in Ruhe lässt. Ich mache inzwischen seit 8 Jahren Therapie. 8 Jahre, wo ich immer wieder das Gefühl habe es geht nichts weiter. Ganze 8 Jahre in denen ich jede Woche eine ganze Stunde an mir arbeite, zeitweise sogar 2 Stunden. Ich hatte 4 verschiedene Therapeutinnen mit 4 verschiedenen Ansätzen (jetzt die in der Klinik nicht mitgezählt). Von Imaginative Gestalttherapie, über Psychodrama bis hin zur Klientenzentrierten Therapie. Und endlich bin ich bei einer Therapeutin, die sich auf diese Art von Trauma spezialisiert hat. Das soll jetzt nicht heißen, dass die anderen nicht gut waren oder mir nicht geholfen hätten. Ganz im Gegenteil.
Gut, meine erste Therapeutin konnte man knicken. Die hat nur immer wieder alles zugedeckt und zurückgestopft sobald Erinnerungen gekommen sind und ich darüber reden wollte. Die wollte mich zwingen weiter Kontakt mit meinen Eltern zu haben und hat Inhalte der Therapie an meine Mutter weitergegeben. Gr0ßes No Go für eine Therapeutin!! Sollte jemand wissen, wo man so was melden kann, dann gib mir bitte Bescheid. Das wollte ich schon lange mal melden.
Die zweite Therapeutin war sehr gut. Damals konnte ich noch nicht wirklich über meine Gefühle sprechen und schon gar nicht über traumatische Dinge. Mir fehlten dann die Worte. Puff, alles war leer. Nicht einmal einfach Dinge wie „Bett“ oder „Badezimmer“ konnte ich aussprechen, von allem anderen ganz zu schweigen. In der Therapie hatten wir den Grundstein dafür gelegt, dass ich heute zum ersten mal mit den traumatischen Erlebnissen direkt arbeiten konnte. Hat ja auch nur 8 Jahre gedauert… Aber das war das tolle an Psychodrama, wenn es nicht ging musste ich nicht reden. Es gab unendliche viele andere Möglichkeiten um mich auszudrücken und zumindestens indirekt mit dem Trauma zu arbeiten.
Mir fällt grad auf, dass ich immer von dem Trauma schreiben. Das ist so nicht ganz korrekt und wohl auch etwas verwirrend. Zum einen gibt es da unendlich viele Erlebnisse, die man als sexuellen Missbrauch bezeichnen kann. Dann sind das noch die Dinge, die ich eher als übergriffig einstufen würde, so Sachen wie zb mir auf den Hintern hauen oder begrapschen. Das sollte es nicht herabspielen. Selbst wenn es „nur“ das gewesen wäre, dann wäre das auch schon genug! Und dann kommt noch die ganze Palette von emotionalen Missbrauch dazu. Sprich das Ganze drumherum, das den sexuellen Missbrauch erst möglich gemacht hat. Die Kaltherzigkeit meiner Mutter zb, das Gefühl, dass ich nie was wert war oder nicht beachtet wurde, das mir einreden ich könne meiner eigenen Wahrnehmung nicht trauen. Auch das alles war schlimm. Es gibt also noch viel mehr Traumen in meiner Vergangenheit als nur den sexuellen Missbrauch.
Wieviel Zeit braucht es also bis ich 21 Jahr von emotionalen und sexuellen Missbrauch aufgearbeitet habe?
Die Antwort wird den wenigsten gefallen.
Ich werde wohl mein ganzes Leben lang Therapie brauchen. Vielleicht nicht durchgehend, vielleicht eine Zeit nur einmal pro Monat, vielleicht auch mal ein paar Jahre gar nicht. Genau sagen kann das niemand.
Die Vorstellungen, dass man bei so was ein paar Jahre Therapie macht und dann ist alles wieder gut, sind leider unrealistisch. So leid es mir tut. Wer weiß, ob es überhaupt jemals einen Zeitpunkt geben wird bei dem „alles gut“ ist.