Heute wurde mir ein Beitrag einer Assistenzhundetrainerin und Ergotherapeutin auf Facebook angezeigt, der mich tief erschüttert hat. Darin äußert sie sich pauschal über alle Menschen mit PTBS-Assistenzhund und erhebt schwere Vorwürfe: Wir würden unsere Hunde schlecht versorgen, ihnen Stress verursachen und sie „parentifizieren“.
Was bedeutet eigentlich „parentifizieren“? Der Begriff stammt aus der Psychologie und beschreibt ein Rollenungleichgewicht, bei dem ein Kind in die Elternrolle gedrängt wird – es wird also für das körperliche und psychische Wohlergehen der Eltern verantwortlich gemacht. Das ist äußerst schädlich, da das Kind dadurch gezwungen wird, zu früh Verantwortung zu übernehmen und seine eigene Kindheit nicht unbeschwert erleben kann. Langfristige psychische Schäden sind oft die Folge.
Warum hat mich dieser Beitrag so aufgewühlt?
Zum einen – und das ist der zentrale Punkt – behauptet die Trainerin, alle Menschen mit PTBS würden ihre Hunde schlecht versorgen. Sie unterstellt uns, die Grundbedürfnisse unserer Hunde wie Futter, Sicherheit, Bewegung usw. zu vernachlässigen – und schlimmer noch: Wir seien alle emotional instabil.
Das ist Ableismus in seiner reinsten Form!
Ableismus bedeutet, dass Menschen mit Behinderung diskriminiert oder benachteiligt werden – allein aufgrund ihrer Behinderung.
Ich habe genau das auch auf ihrer Seite kommentiert. Ich werde die Trainerin hier nicht öffentlich benennen, um weder ihr Profil noch ihren Beitrag weiter zu pushen – denn jedes Kommentar erzeugt mehr Reichweite.
Mein Appell an euch: Wenn ihr bei eurem Assistenzhundetrainer oder gar Ergotherapeuten solche Aussagen lest, dann nehmt schnell Abstand! Denn es bleibt selten bei der Abwertung einer bestimmten Gruppe von Menschen mit Behinderung. Solches Gedankengut geht oft tiefer – und weitet sich schnell auf andere Gruppen aus.
Wie kann jemand, der Menschen mit Behinderung diskriminiert, mit genau solchen Menschen arbeiten? Aus meiner Sicht hat sie ihren Beruf verfehlt.
Ich habe sie dann auf die Studie der Vetmeduni Wien aufmerksam gemacht, die den Stresslevel bei PTBS-Assistenzhunden mit dem von Familienhunden verglichen hat.
Das Ergebnis: PTBS-Assistenzhunde haben signifikant weniger Stress als Familienhunde!
https://hundeuni.info/assistenzhunde-stress/
Als Erklärung wird vermutet:
„Die enge Bindung zwischen den Assistenzhunden und ihren Halter:innen, die auch als soziale Puffer fungieren können, ist eine mögliche Erklärung der unerwarteten Ergebnisse. ‚Social Buffering‘ bedeutet, dass Oxytocin als Reaktion auf Stress ausgeschüttet wird, wobei die Sekretion durch die Anwesenheit und den Körperkontakt von Sozialpartner:innen (wie es bei PTBS-Assistenzhunden und ihren Halter:innen sehr häufig der Fall ist) verstärkt wird (Buttner, 2016). Dadurch wird Stress verringert.“
Mit anderen Worten: Gerade das, was die Trainerin als „Stress“ kritisiert – z. B. Körperkontakt in stressigen Situationen (wie bei Dissoziationen) – wirkt stressmindernd, nicht belastend!
Ein Beispiel:
DPT – Deep Pressure Therapy.
Dabei legt sich der Hund auf die Oberschenkel der Assistenzperson und übt durch sein Gewicht Druck aus. Das hilft dem Menschen, seinen Körper besser zu spüren, Stress abzubauen und sich wieder im Hier und Jetzt zu orientieren.
Das fördert sogar beidseitiges Wohlbefinden.
Was mich zusätzlich stört: Die Trainerin scheint sich auf traumatisierte Menschen regelrecht eingeschossen zu haben.
Nur weil jemand ein Trauma erlebt hat, bedeutet das noch lange nicht, dass er oder sie emotional instabil ist!
Natürlich kann es zu Krisen kommen – aber genauso gibt es stabile Phasen. Diese sind individuell unterschiedlich lang und intensiv.
Ein seriöser Assistenzhundetrainer achtet genau darauf, ob der Mensch einen sogenannten Notfall- oder Betreuungsplan A–B–C–D hat. Also z. B.:
Familie, die den Hund betreut
Freunde oder Hundesitter
Fachpersonal im Hintergrund
und vieles mehr.
Auch eine „schlechte Phase“ bedeutet nicht automatisch, dass der Hund nicht mehr versorgt werden kann.
Ich selbst habe mich oft genug trotz Erschöpfung aus dem Bett gequält, um mit Ylvi (und Medic) spazieren zu gehen – obwohl ich keine Kraft hatte.
Denn sie sind meine Familie.
Natürlich sorge ich dafür, dass es ihnen gut geht – auch wenn ich dafür manchmal zurückstecken muss.
Und genauso denken die meisten Assistenznehmer:innen.
Ja, es gibt Ausnahmen – Menschen, die ihre Hunde nicht gut versorgen. Aber das liegt nicht zwangsläufig an der Erkrankung, sondern daran, dass es leider immer Menschen gibt, die Tiere schlecht behandeln.
Das ist kein exklusives Problem bei PTBS oder psychischen Erkrankungen – das kommt in der gesamten Bevölkerung vor.
Was ich ihr in einem Punkt (zum Teil) zustimme:
Ein Assistenzhund darf nicht die Verantwortung für den Menschen übernehmen.
Was heißt das konkret?
Bleiben wir beim Beispiel eines PTBS-Assistenzhundes.
Er lernt, Dissoziationen anzuzeigen und sie durch DPT zu lindern.
Aber: Es liegt nicht am Hund allein, dass es mir besser geht. Es ist meine Verantwortung.
Wenn mein Hund mir signalisiert, dass ich dissoziiere, und ich ihn bitte, auf meinen Schoß zu kommen, dann ist es mein Job, weitere Skills einzusetzen:
Duftöle
Saure Bonbons
Atemübungen
Oder eine „Skillkette“ (mehrere Skills kombiniert)
Ich bin verantwortlich, mich zu stabilisieren – nicht mein Hund.
Ein weiteres Beispiel:
Ein Assistenzhund für ein Kind mit Behinderung, das dazu neigt wegzulaufen.
Manche Eltern wünschen sich, dass der Hund das Kind aktiv aufhält – z. B. vom Überqueren einer Straße.
Aber das ist eine viel zu große Verantwortung für ein Tier.
Eine bessere Lösung wäre: Der Hund bellt, wenn das Kind einen definierten Bereich verlässt – so werden die Eltern gewarnt.
Aber die Verantwortung bleibt bei den Eltern.
Eine weitere Möglichkeit wäre, in der Wohnung die Haustür zu sichern, z. B. durch Abschließen.
Denn: Selbst ein hervorragend ausgebildeter Assistenzhund bleibt ein Tier – und Tiere machen Fehler.
Wenn der Hund einmal nicht reagiert oder eine Anzeige „verpasst“, muss das System dahinter zuverlässig genug sein.
Die Verantwortung darf niemals beim Hund liegen.
Ergänzung:
Warum manche den Begriff Parentifizierung NICHT auf Assistenzhunde anwenden kann lest ihr hier:
Warum Parentifizierung nicht auf Assistenzhunde anwendbar ist
Vielen lieben Dank für deinen Beitrag und die wirklich gute Aufklärung dazu, du hast es sehr gut aufgehoben den Punkt gebracht . Ich kenne den Beitrag dazu nicht, aber ich kann dich sehr gut verstehen . Es macht die Öffentlichkeitsarbeiten für die AH eben dann noch schwieriger , weil sich schnell etwas in den Köpfen Fest setzt .
Liebe Helene,
Vielen Dank für die Rückmeldung. Ich bemühe mich seit ich Ylvi habe – also seit 2014 – Leute aufzuklären. In Zukunft wird es auch wieder mehr Beiträge auf dem Blog geben. Schau also gerne öfters vorbei.
Sowas nennt sich Assistenzhundetrainerin?….Genau solche Menschen sind in ihrer Tätigkeit eindeutig fehlbesetzt und gehören benannt, damit gerade Betroffene Menschen nicht an so ein Individium geraten. Sowas ist nicht nur schädlich für die Betroffene Person, sondern beschädigt Alle und Alles gleichermaßen. Wie kann so eine Person es sich wagen zu unterstellen, PTBS-Betroffene würden ihre Hunde vernachlässigen……Sorry, aber vor so einer ekelhaften und anmaßenden Person müssen Alle gewarnt werden!!!
Die Hunde meiner Partnerin haben schon die Aufgaben eines heutigen AH übernommen, als es weder in den USA und schon gar nicht hier so etwas gab….Und ihren Tieren…nicht nur den Hunden…ging und geht es immer hervorragend!!! und das mit einer extremen KPTBS….
Sowas wie diese angebliche Trainerin sollte niemals wieder etwas mit Erkrankten Menschen zu tun haben!
Lieber Stephan,
Wer recherchiert bevor er einem Trainer zusagt, der wird es sehen. Und damit meine ich simples Anschauen der Homepage und Facebookpage. Dort ist es öffentlich zum nachlesen. Inklusive meinem Kommentaren. Die Trainerin rudert auch bereits zurück und behauptet es so nicht gemeint zu haben. Wahrscheinlich weil ich nicht die Einzige war, die das geschriebene (inklusive ihrer Kommentare) kritisiert hat.
Danke für die differenzierte Ausarbeitung deines Beitrages.
Den Beitrag auf den du dich beziehst, kenne ich nicht. Dennoch finde ich das Thema Parentifizierung im Kontext Assistenzhund unglaublich wichtig.
Nicht selten sehe ich in den sozialen Netzwerken, dass Assistenzhunde ihre Kenndecke im Freilauf, beim Spaziergang in der Freizeit trägt und somit genau das passiert, was sich Parentifizierung nennt.
Das betrifft uns alle, die einen AH führen und meines Erachtens nicht eine einzelne definierte Gruppe von behinderten Personen.
Es ist ein wichtiges und sensibles Thema, dessen sich einige AN nicht bewusst sind und manche sogar schlicht ignorieren.
Es ist ein Thema das in die Kategorie Tierschutz fällt! Alle AN sollten sich jeden Tag auf neue offen und ehrlich hinterfragen ob sie im Sinne ihres Hundes Entscheidungen treffen und handeln.
Liebe Pipilotta,
jeder Mensch sollte sich gut um seinen Hund bzw. Assistenzhund – oder generell um jedes Haustier – kümmern. Das ist völlig unabhängig davon, ob man selbst krank ist oder nicht.
Zu deiner Anmerkung, dass es Assistenzhunde gibt, die ihre Kennzeichnung auch in der Freizeit tragen:
Ja, das stimmt – und das ergibt auch absolut Sinn.
Bei uns ist es zum Beispiel wichtig, dass der Assistenzhund IMMER gekennzeichnet ist. So wird er im Freilauf – etwa in Wald und Wiesen – von Jägern nicht versehentlich erschossen. Unsere Assistenzhunde sind von der Leinen- und Maulkorbpflicht befreit, daher sollte klar erkennbar sein, dass sie diese Sonderrechte haben. So können Polizei, Jäger, Aufsichtspersonal und andere Menschen das sofort erkennen.
Auch in Notsituationen ist eine klare Kennzeichnung wichtig: So weiß der Rettungsdienst sofort, dass es sich um einen Assistenzhund handelt, und kann entsprechend reagieren und ihn mitnehmen.
Das sind nur einige Gründe, warum Assistenzhunde auch in ihrer Freizeit gekennzeichnet sind.
Natürlich gibt es Menschen, die die Kennzeichnung direkt mit der „Arbeit“ des Hundes verknüpfen. Diese lassen ihrem Assistenzhund in der Freizeit dann meist keine Kenndecke an.
Manche unterscheiden auch bewusst zwischen verschiedenen Kennzeichnungen – z. B. Kenndecke = im Dienst, Halstuch = Freizeit.
Für Außenstehende ist also nicht immer erkennbar, ob der Assistenzhund gerade arbeitet oder eine Pause hat.
Ehrlich gesagt: Das ist für Außenstehende auch gar nicht relevant!
Wichtig ist nur, dass es sich um einen Assistenzhund handelt – und dass man ihn in Ruhe lässt.
Ich habe zu dem Thema Kennzeichnung in Freizeit auch einen Beitrag geschrieben warum das so ist und warum das auch Sinn macht.
https://assistenzhund-ylvi.at/warum-sind-manche-assistenzhunde-auch-in-ihrer-freizeit-gekennzeichnet/
Den Blödsinn zwecks Parentifizierung braucht man hier auf meiner Homepage nicht wiederholen.
Denn die Vorstellung, dass Kennzeichnung = Parentifizierung ist = FALSCH!
Die Vorstellung, dass Arbeit = Parentifizierung = FALSCH.